Ohne Vorwarnung


Kurz vor Mitternacht raste ein Sattelzug ungebremst auf zwei auf dem Seitenstreifen stehende Polizeifahrzeuge. Bei dem Unfall auf der A 4 bei Meerane kamen gestern Nacht zwei Thüringer Polizisten und ein Transportbegleiter ums Leben. Die Beamten sollten den Schwerlasttransport gegen Unfälle sichern. In den vergangenen Jahren starben bei ähnlichen Unfällen bereits zwei Polizisten.

Es war der blanke Horror. Überall auf der Fahrbahn lagen Teile der zerstörten Fahrzeuge. Zersplittertes Glas, Karosserieblech, ausgelaufenes Öl und Kühlerflüssigkeit verteilten sich über ein weites Umfeld. Der Gemüsetransporter aus Laasdorf bei Jena hatte eine Schneise der Verwüstung hinterlassen, als er ungebremst auf zwei Polizeiautos und einen Kleintransporter gerast war. Fast 50 Meter hatte er die Fahrzeuge mit sich geschleift, bis er zum Stehen kam. Die Autobahn war über acht Stunden blockiert.

An der Unfallstelle bei Meerane in Sachsen hatte eine Stunde vor Mitternacht ein Schwerlasttransport der Firma Kranlogistik Lausitz GmbH gestoppt. Der fünf Meter breite Sattelzug war mit hölzernen Dachbindern vom sächsischen Mittweida auf dem Weg nach Meiningen unterwegs. An dieser Stelle, etwa einen Kilometer vor der Thüringer Grenze, sollte das Polizeibegleitfahrzeug wechseln. Die sächsische Zuständigkeit endete, so dass eine Übergabe verabredet war. Wegen der Ausmaße des Gefährts war ein Halt auf einem Parkplatz unmöglich, hieß es im Thüringer Verkehrsministerium.

So stand der Sattelzug auf dem Seitenstreifen der zweispurigen Autobahn. Da er mit fünf Metern deutlich breiter war als gewöhnliche Anhänger, blockierte er noch einen Teil der rechten Fahrbahn. Abgesichert wurde die mitternächtliche Pause von einem Kleintransporter, der ein großes beleuchtetes Schild "Schwerlasttransport" trug. Dahinter stand ein Polizei-Audi aus Sachsen mit Blaulicht. Den Abschluss dieser Gruppe bildeten die beiden Thüringer Polizisten mit einem BMW.

Auf diesen Streifenwagen war der Lkw als erstes gekracht. Der 41-jährige Polizeiobermeister Stefan B. saß noch im Auto, als der Unfall passierte. Rettungskräfte mussten ihn schwer verletzt aus dem völlig zerstörten Wrack schneiden. Der Vater zweier Kinder starb zwei Stunden später in einem Krankenhaus. Sein 47-jähriger Kollege Andreas R. hatte offenbar gerade gemeinsam mit dem 35-jährigen Leiter des Schwerlasttransportes am Fahrbahnrand die Weiterfahrt besprochen. Beide Männer wurden von den Fahrzeugen erfasst und starben an der Unglücksstelle. Auch Andreas R. hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.

Die Nachricht war wie ein Schock für die Geraer Polizeidirektion, sagt Polizeisprecherin Steffi Kopp. Beide Polizisten seien beliebte Kollegen in der Verkehrspolizeiinspektion in Gera gewesen. Die gesamte Dienststelle habe wie gelähmt auf die Tragödie reagiert. Den Familien der Kollegen wurde sofort psychologische Betreuung und ärztliche Hilfe angeboten. Im Laufe des Tages kondolierte auch Innenminister Karl Heinz Gasser (CDU).

Ohne die genaue Unfallursache zu kennen, forderten gestern Abgeordnete von CDU und PDS ein Verschärfen gesetzlicher Regelungen und Strafen sowie intensivere Kontrollen für den Güterverkehr. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Fiedler sprach sich für eine "umfassende Aufklärung" aus und sicherte "seine Unterstützung bei der Aufklärung der Unfallursache" zu. Offenbar traut er das Polizei und Staatsanwaltschaft nicht zu. PDS-Fraktionschef Bodo Ramelow plädierte gar für eine Kronzeugenregelung, wenn Lkw Fahrer gegen ihre Firmen aussagen wollen. Dass eine solche Regelung seit einiger Zeit nicht mehr in Deutschland existiert, weil sie ohne Erfolg bei der Verbrechensbekämpfung blieb, sagt er nicht.

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hat gestern Mittag die Ermittlungen aufgenommen. Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Bernd Vogel hatten die beiden ebenfalls in den Unfall verwickelten sächsischen Polizisten Glück. Sie wurden leicht verletzt und konnten das Krankenhaus wieder verlassen. Der 35-jährige Fahrer des Gemüsetransporters erlitt schwere Verletzungen. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. Zur Unfallursache wollte sich Vogel nicht äußern. Die Autobahn an der Unglücksstelle war überschaubar. "Der Lkw-Fahrer konnte Blaulicht und Warnsignale rechtzeitig sehen", meint er. "Warum er nicht ausgewichen ist, steht noch nicht fest." Derzeit werde der technische Zustand des Lasters und der Fahrtenschreiber ausgewertet. Zudem prüft die Staatsanwaltschaft, ob Alkohol oder Drogen eine Rolle gespielt haben könnten. Ergebnisse lagen gestern noch nicht vor. "Menschliches Versagen" könne aber nicht ausgeschlossen werden, so Vogel. Der Eigentümer des Unfall-Lasters, die Thüringer Obst- und Gemüseabsatzzentrale, erklärte, der Lkw sei in einwandfreiem Zustand und der Fahrer habe "langjährige Berufserfahrung".

Der Chef des Verbandes des Thüringer Verkehrsgewerbes, Ulrich Hoffmann, hält solche Unfälle für unvermeidbar. Früher seien diese oft glimpflicher ausgegangen, weil die Straßen noch leer waren. Der PDS-Forderung, den Verkehr auf die Schiene zu verlagern, widersprach er teilweise, da das oft teurer werde, weil der Bahn die entsprechende Logistik fehle.

Zwischen Januar und Juni rollten 24 831 Schwerlasttransporte durch Thüringen. Tendenz steigend, im Jahr 2000 waren es lediglich

14 083. Sollte Hoffmann mit der Unvermeidbarkeit Recht haben, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis wieder etwas passiert.


20.07.2004 Von Sabine SPITZER
und Kai MUDRA